19.12.2018

Es hat mich schon leicht erschreckt, was der Zufall so wollte. Der wollte mir weismachen, dass die Welt bald untergeht.

Das begann mit den Andaman-Insulanern, insbesondere der etwa 80 Sentinelesen, die ihre kleine Insel tapfer gegen jeden Fremden verteidigen. Sie hatten im November einen «Missionar» getötet, der versucht hatte, an Land zu kommen. Das brachte die kleine Sippe wieder in die Schlagzeilen. Und in den Texten dazu war zu lesen, dass es diesen Stamm wohl nicht mehr lange geben werde, so ganz außerhalb jeglicher indischer Justiz...

Ich holte mir eine Flasche Wein. Die letzte ihrer Art (jedenfalls in meinem Keller): einen «Amano» der Finca Decero in Argentinien. Ein Weingut des Unternehmers und Financiers Thomas Schmidheiny.

Der Amano gehört zu den Besten für mein Geschmacksempfinden. Beim Entkorken dachte ich an die Vergänglichkeit. Auch an meinen ersten Weingenuß, einen Beaujoulais Nouveau, den ich als etwa 16-Jähriger zum Schrecken meiner Mutter alleine in meinem Zimmer trank.

Eine der Hauptstrassen von Maikammer

Maikammer in der Pfalz: hier wird heute ebenfalls ein guter Wein gekeltert. Zum Beispiel der Auxerrois von Stefan Schwaab

Meine Mutter erschrak nicht etwa deshalb, weil ich keinen Pfälzer Wein aus Maikammer bevorzugte – von dort, wo damals dieses saure Gemisch gekeltert wurde, stammte sie nämlich her. Sie sah mich vermutlich als Trinker enden. –

Zurück zu meinen Zufällen zum Jahresende: Wenige Tage später las ich in einem Bericht von einer Schweizer Vulkanistin, die davon überzeugt ist, dass verheerende Vulkanausbrüche die Dinosaurier zum Aussterben gebracht hätten. Außerdem legte sie dar, wie wir Menschen in unserer Zivilisation dieselben Giftstoffe in den Äther jagen: Schwefel, CO2 und Quecksilber.

Wir leben also auf einem selbstgemachten Vulkan – allerdings wohl nicht mehr lange. Die Klimakonferenz in Katowice, in Polen oben, wo fleißig Kohle abgebaut wird, brachte dazu jedoch auch nichts Neues.


Weinfoto Nicolas Monkewitz

Eine der unnachahmlichen Fotos von © Nicolas Monkewitz

Also trank ich nachdenklich, aber doch konzentriert, noch einen Schluck vom vorzüglichen Amano. Dabei kam mir meine Zeit in den achtziger Jahren in den Sinn, als ich in der Werbung arbeitete.

Eine Fotografie von Nicolas Monkewitz mit einem Rotweinglas hatte mich damals derart begeistert, dass ich die Werbung wochenlang im Büro hängen hatte. Den Wein hatte ich dennoch nicht gekauft.

Und dann dies: der von mir geschätzte Ben Moore – unter anderem Kolumnist im «Das Magazin» – berichtete in der Dezember-Ausgabe, dass es wahrscheinlich die Ameisen sein werden, die uns überleben. Diese Spezies sei am besten organisiert, habe genug Mitglieder und genug kollektives Bewusstsein. Aber zuvor hatte er noch dargelegt, dass wir Menschen bereits 99 Prozent unserer Zeit auf diesem Planeten hinter uns haben.

Wir erleben jetzt also das letzte eine Prozent. 


Die Klus bei Aesch

Weinlaub nach der Lese in den Weinbergen der Klus bei Aesch BL

Ich nahm den letzten Schluck. Dann betrachtete ich verunsichert mein Handy. Unter den Fotos fand ich ein paar Weinlaubblätter, die ich in der Klus bei Aesch BL aufgenommen hatte.

Es wird ein guter, ein sehr guter Jahrgang werden, sagten alle. Wenigstens das: wir können mit eleganten, gut gereiften, aromatischen Weinen unser Ende feiern. Ich hoffe nur, das letzte eine Prozent dauert noch einige Jahrhunderte… und ich schaffe es auch noch, das Buch über Holzkohle zu Ende zu bringen. Würde passen!

Und vielleicht haben die Ameisen bis dahin lesen gelernt.

Links zum Thema:

Schmidheiny Weine / Decero Amano
www.http://www.decero.com/our-wines/decero-amano/

Weingut Schwaab / Maikammer
http://www.weingutschwaab.de/weinemehr/index.html

Interessante Weinseite
http://www.weintrend.com/

Fotograf Nicolas Monkewitz
https://www.monkewitz.ch/nicolas1990.html

Ben Moore Professor of Astrophysics
https://www.benmoore.ch/writing/

Holzkohle-Buch (in Arbeit)
http://www.schreibenlassen.ch/homepage/109-2018_06_26.html