24. August 2022

Es gibt Momente und Ereignisse, die können für längere Zeit nachschwingen. Bilder und Gefühle tauchen dann immer wieder auf; unvermutet, in völlig anderen Zusammenhängen.

Der Tod eines guten Arbeitskollegen – Freundes vielleicht – traf mich auf diese Weise. Einerseits durch die Plötzlichkeit mit der er starb, anderseits durch die Abschiedsfeier vor einer Linde auf freiem Feld: ein Himmel voller Emotionen.
 

Die Linde an der Forch bei Zürich, welche als Weihnachtsbaum bezeichnet wird

Einzelne Trauergäste blieben noch lange, versuchten den Tod und sich selbst neu zu verorten © HWR

 

Später hörte ich davon, dass die dortige Linde, die wohl noch lange nicht ihre ganze Lebensfülle erreicht hat, jeweils an Weihnachten geschmückt wird: zu einem Weihnachtsbaum wird.

Bäume sind für mich seit jeher treue Begleiter. Einzelne Bäume stehen mir buchstäblich nahe. Ein winziges, kaum sechs Jahre altes Kakibäumchen zum Beispiel. Dann eine Birke, die sich seit Jahrzehnten gegen die landwirtschaftliche Bearbeitung ihres Standortes behauptet.

Und selbstverständlich die Eiche, die in diesen Blog-Beiträgen schon einige Mal Hauptdarsteller war.

 

Die Eiche, die ihre Energie seit bald 100 Jahren zur Verfügung stellt

Die wuchtige Eiche bei Nusshof, die ich immer wieder gerne besuche, in allen Jahreszeiten © HWR

 

Dass Bäume, gerade weil sie in der Regel viel länger leben als wir Menschen, eine Symbolkraft für unser Dasein haben, spiegelt sich in vielen Geschichten und Gedichten.

Wenn dann eine Abschiedsfeier neben oder um einen Baum herum durchgeführt wird, berührt das auf verschiedenen Ebenen. Mit Freunden und Bekannten sprach ich an diesem Tag über den Verstorbenen und seinen Tod.

Und mehrere von ihnen berichteten, wie stark sie ihn noch spürten, hier an diesem Platz, unter diesem Himmel, an dieser Linde.

 

Die Birke, die sich wehrt, seit Dutzenden von Jahren

Kaum 15 Meter hoch diese Birke. Jahr für Jahr wird bis an die Wurzeln gepflügt und geackert  © HWR

 

Im Moment beschäftige ich mich beruflich mit zwei unterschiedlichen Projekten. Einmal der Auftrag für eine Hochzeitsrede, von den Eltern an die Braut bzw. an den Bräutigam.

Das andere Projekt betrifft Safari-Reisen nach Ostafrika. In beiden Aufgaben ist Leben, aktives Erfahren und in gewisser Weise Neubestimmung ein inhaltlicher Schwerpunkt.

Vielleicht sind Bäume deshalb so inspirierend für mich, weil sie alle Aspekte des Werdens, des Aufwachsens und der Verwandlung so deutlich und so ganz natürlich zeigen.
 

Sterbende Bäume und neues Leben sind dicht verwoben

Fast schon verführerisch für ein Pilzgericht – und ein Zeichen für weitere Verwandlungen © HWR

 

Jeder Baum, der natürlich wachsen und sterben kann, zeigt all diese Phasen. Gerade vor wenigen Tagen traf ich bei strahlendem Sonnenlicht auf einen alten Baum, dem vor einiger Zeit ein riesiger Ast vom Sturm weggerissen wurde.

Daran hing, jetzt am Boden liegend, noch ein Vogelnistkasten, der im letzten Frühling «bewohnt» war. Und am oberen Stamm des Baumes, dort wo sich mit fünf Ästen die Krone verzweigt hatte, prangte ein leuchtend gelber Pilz. – Leben auf vielen Arten, und für viele Arten.

Dann ist Weihnachten irgendwie überall dabei: Zeichen für beseeltes, erfülltes Leben.

 

Weihnachtsbäume können auch ganz anders sein

Die Linde, als Weihnachtsbaum mit Symbolkraft, darf immer wieder von «kleinen» Menschen bewundert werden.
© elektro4.ch

 

 

Ein Gedicht, das sich heute morgen zum Thema formte:

 

Noch drehen sich Zeiger

über alten Zifferblättern

 

Und konstruierte Algorithmen versuchen

Zeit zu simulieren

 

Während Ahornblätter

gelb-rot-braun

Windrichtungen erspüren

 

Alte Linden grinsen

über künstliche Gefüge

 

Und Pilze ziehen kichernd

ihre Fäden

 

Es wird Zeit

sich neu zu erinnern