30. Mai 2016

Ich wundere mich immer wieder über Lebensläufe. Von Menschen, die durch ihre Präsenz, ihren Einsatz, ihren Mut, ihre Durchhaltekraft usw. Herausragendes geleistet haben. Die gab und gibt es in allen Jahrhunderten. Gleichzeitig gibt es die Hochstapler und Betrüger grossen Stils. Siehe Kommentar am Ende zu «Wen muss man kennen?».

Welche Namen bleiben, welche vergessen gehen, das ist oft Zufall. Dass mir ein Aldus Magnus bekannt ist, liegt daran, dass ich mich schon früh für Typografie interessierte. Aldus führte in Venedig eine Druckerei, die Massstäbe setzte. Unsere heute gebräuchlichen Antiqua-Schriften, auch die Kursiv-Schnitte, auch die systematische Interpunktion, das wurde erstmals bei Aldus realisiert.

ERASMUS MMXVI Schrift von Katharina Wolff

Die Schriftgestalterin und Dozentin Katharina Wolff gestaltete eigens für die Ausstellung bzw. für die Kampagne ERASMUS MMXVI eine neue Antiqua-Schrift (Regular, Bold und Kursiv bzw. Handschrift)

Meine Affinität zu Schrift hat mich auch aufmerken lassen, als ich ein Plakat las mit grosser, ungewöhnlicher Typografie. «Schrift als Sprengstoff» konnte man aus den verstreuten Buchstaben entziffern. Die Ausstellung, welche das Plakat ankündigt, ist dem Humanisten, Theologen und Philosophen Erasmus von Rotterdam gewidmet.

Anlass: seine vor 500 Jahren in Basel gedruckte griechisch-lateinische Bibelübersetzung. Sie soll entscheidend Melanchton, Oekolampad, Calvin, Zwingli und Luther inspiriert haben. Auch wieder Namen, die jeder für sich Dutzende von Biografien zur Folge hatten. Namen, die in den Ohren von Kennern klangvoll sind.

Die lateinisch-griechische Bibel-Übersetzung von Erasmus von Rotterdam (Bild: Helmut W.Rodenhausen)

Einige Objekte der Ausstellung sind doch direkt mit Erasmus verbunden. Die ungewöhnlich platzierten Versalien sind als Code für das Tablet-App konzipiert und lösen zumeist einen gesprochenen Textkommentar aus.

Apropos Klang: Die Ausstellung im Basler Historischen Museum verzichtet weitgehend auf reale Objekte. Mittels Tablet und Kopfhörer wird gesprochen – viel gesprochen. Der Besucher fühlt sich oft allein. Allein mit seinem elektronischen Gerät, das nicht immer funktioniert. Allein auch mit typografischen QR-Codes, allein in einer Ausstellung, die gar keine ist.

Die Ausstellung Erasmus im Historischen Museum Basel (Bild: Helmut W. Rodenhausen)

Themen aus einem Museums-Kontext in elektronische Medien zu transportieren, ist aufwändig. Und glückt nicht immer.

Wohltuend und tröstend für mich war am Schluss die mutige Aussage von Buchgestalter Lars Müller. In einem Video-Clip erklärt er kühn, dass das Buch auch die schnelllebigen Technologien wie Smartphone und Tablets überleben wird – wenn es diese Dinge dann später schon gar nicht mehr gibt.

Am Schluss, fast versöhnt, nahm ich ein Zitat von Erasmus mit nach Hause:
«Am Ende stellt sich die Frage: Was hast du aus deinem Leben gemacht? – Was du dann wünschst, getan zu haben, das tue jetzt.»


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Seiten-Ausschnitt aus dem Werk «Adagiorum» von Erasmus von Rotterdam. Gedruckt bei Aldus in Venedig.


Trennungen Postkarte von Helmut W. Rodenhausen

Die «neue» Schrift animierte mich anschliessend zu einer neuen «Ver-Trennung» – siehe auch Beitrag «Wenn Sprache verloren geht»